von Jörg Streese

Der Zusammenbruch des Kommunismus begann mit Lenin in Gdansk

Der Zusammenbruch des Kommunismus begann mit Lenin in Gdansk

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Published on Juni 26th, 2011 @ 21:40:07 , using 788 words,
Der Zusammenbruch des Kommunismus begann mit Lenin in Gdansk
Der Zusammenbruch des Kommunismus begann mit Lenin in Gdansk
Der Zusammenbruch des Kommunismus begann mit Lenin in Gdansk
Der Zusammenbruch des Kommunismus begann mit Lenin in Gdansk
Der Zusammenbruch des Kommunismus begann mit Lenin in Gdansk
Der Zusammenbruch des Kommunismus begann mit Lenin in Gdansk

Heute ist Lothar aus Rostock gekommen – eigentlich mit dem Ziel, mich auf dem 24- bis 36-stündigen Törn nach Klaipeda zu begleiten und zu unterstützen. Aber da er zugleich der Überbringer meiner neuen Kamera ist, die aber erst am Samstag bei ihm ankam, wird das mit Klaipeda wohl nichts, denn der Weg zurück liegt nicht mehr in seinem Zeitplan.


Wir machen eine Stadtbegehung mittels eines Audio-Guide, den man dort bei der Touristen-Information bekommen kann. Und der führt uns auch auf die ehemalige Leninwerft, die heute aufgegeben worden ist und zu einem neuen Stadtteil Gdansk werden soll, weil sie auch eigentlich mitten in der Stadt liegt. Tja – und die Leninwerft und die Solidarnosc-Bewegung liessen dann noch einmal die ganze damalige Geschichte vor unseren Augen entstehen. Und hier wurde mir – ich hatte diese Zusammenhänge längst vergessen, noch einmal klar, dass die Wiedervereinigung hier in der Leninwerft in Gdansk möglich gemacht wurde.


Abends dann beim Essen erzählt Lothar:


1980 war er als ehemaliger DDR-Bürger zufällig gerade in Gdansk, als die Solidarnosc gegründet wurde. Anlass waren die Erhöhung der Lebensmittelpreise, die im ganzen Land zu Streiks führten und in Gdansk selbst die Entlassung der Kranführerin Anna Walentynowicz, die eine der Symbolfiguren des Aufstandes von 1970 war, als ebenfalls wegen Lebensmittelpreiserhöhungen in der Werft gestreikt wurde und eine bis heute nicht geklärte, aber mindestens 40 Arbeiter zählende Menge von der Armee erschossen worden war.


Sehr schnell wurde ein überbetriebliches Komitee gegründet, dass die Aktionen der Arbeiter in ganz Polen koordinieren sollte und es wurden die berühmten 21 Forderungen aufgestellt, in denen u.a. die Pressefreiheit, ein Denbkmal an die vor 10 Jahren erschossenen Arbeiter, freie Samstage u.u.u. gefordert wurden und darüber in Verhandlungen mit der kommunistischen Regierung eingetreten wurde.


Das Regime wankte.


Zwei wichtige Hintergründe müssen hier dafür genannt werden.


1975 fand vor allem auf betreiben der UdSSR in Helsinki die KSZE-Konferenz statt, wo es das Ziel der Sowjetunion war, die sie ökonomisch in den Ruin treibende Rüstungsspirale zu begrenzen. Und sie haben dafür einen hohen Preis zahlen müssen: auf ihr betreiben hin wurde in allen Ländern und Zeitungen die Erklärung abgedruckt, in der unter anderem mit Zustimmung des kommunistischen Blockes freie Wahlen, freie Presse und freie Grenzen von allen hier beteiligten Ländern beschlossen wurden.

5 Jahre später sollte sich die Solidarnosc darauf berufen.


Und als Hintergrund für diese Entwicklung ist wichtig, dass 1978 Polen mit Johannes Paul dem II seinen (polnischen) Papst bekam und dieser als erstes Polen besuchte, die Leninwerft aufsuchte und für die Polen unermesslich wichtig war. In ihrer Begeisterung für ihren Papst erlebte sich das polnische Volk neu, sah, das Hunderttausende, ja Millionen wegen der gleichen Sachen auf der Straße waren, sah die Kraft, die sich hier in den Menschen zeigte und fassten wieder Mut, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Dies ist wohl mit entscheidend für die spätere Solidarnosc-Bewegung gewesen, die in ihrer besten Zeit 10 Millionen Mitglieder hatte – ein Drittel der kommunistischen Parteigenossen waren gleichzeitig Mitglieder der Solidarnosc.


Zurück zu 1980 und der Solidarnosc-Bewegung.

 

Das Regime musste in Verhandlungen mit der Gewerkschaftsbewegung treten, das heisst faktisch die Anerkennung der Macht der Solidarnosc-Bewegung.


Das Regime wankte.


Dann wird 1981 die Notbremse gezogen. 1981 wird das Kriegsrecht ausgerufen, Generalstabschef Wojciech Jaruzelski übernimmt die Macht, die gegründeten freien Gewerkschaft Solidarnosc, die inzwischen 10 Millionen Mitglieder hat, wird verboten, es herrscht Ausgangssperre, Telefon und Post werden nur eingeschränkt zugelassen, die Grenzen sind dicht – und Lothar, der damals in der DDR als Bausoldat eingezogen war, bekommt Ausgangssperre.


1982 stirbt in Russland Breschniew – und da im ZK noch nicht klar ist, wie es weiter gehen soll, werden dort zwei alte Daddys als Übergangslösung gewählt, die beide schon so alt sind, dass sie jeweils ich glaube 2 Jahre oder so im Amt waren.


1986 bekommt der 1980 gewählte Vorsitzende der Solidarnosc Lech Walensa den Friedensnobelpreis.


Dann kommt Gorbaschow in Russland an die Macht. In Polen wird das Kriegsrecht aufgehoben, Lothars polnische Freunde arbeiten in der verbotenen Solidarnosc-Bewegung im Untergrund, die Bewegung zeigt sich immer öffentlicher und setzt jetzt die Runden Tische durch: Und mit der Akzeptanz der Runden Tische 1988 hat das kommunistische Regime in Polen im Grunde genommen sich selbst schon aufgelöst: Es kommt zu halb freien Wahlen, die Solidarnosc sitzt mit in der Regierung, in der DDR kommt es zu den Kerzendemonstrationen, in Polen sind die Grenzen offen, in Ungarn gehen die Grenzen auf, in den Botschaften in Warschau und Prag sammeln sich DDR-Bürger und ein Jahr später gibt es die DDR nicht mehr.


Und hier auf diesem Gelände, auf dem wir jetzt stehen, ist das alles in Bewegung gekommen.


Es wurde ein langer Abend mit Lothar, der an all diesem durch Freunde sehr hautnahen Kontakt hatte und ja selbst in der DDR dann ein Teil dieser Bewegung war. Danke dir für die Wertschätzung dieses Zusammenhangs, der mir völlig aus dem Kopf verschwunden war.

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