von Jörg Streese

Törnbericht: Mit der Sturmfock nach Liepaja - Hauptstadt des Baltischen Rock

Törnbericht: Mit der Sturmfock nach Liepaja - Hauptstadt des Baltischen Rock

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Published on Juli 18th, 2011 @ 13:57:47 , using 1251 words,
Törnbericht: Mit der Sturmfock nach Liepaja - Hauptstadt des Baltischen Rock
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Törnbericht: Mit der Sturmfock nach Liepaja - Hauptstadt des Baltischen Rock
Törnbericht: Mit der Sturmfock nach Liepaja - Hauptstadt des Baltischen Rock

 

Auf nach Liepaja – mit Überraschung


Die Windvorhersage war prima: Bis 12:00 Uhr Mittags SE 4-5, danach SW 4-5 und Spätnachmittag bis Abend SE 4 – der WindFinder sagte für den späteren Tag W 3-4 voraus, Wellenhöhe bis 2 Meter. Also los nach Liepaja, eine Strecke von 75 Seemeilen, wofür ich zwischen 12 und 17 Stunden rechne.


Morgens wolkenloser Himmel; leider ist das WC von innen verriegelt (?) und es dauert eine Stunde, bis der Servicemann dieses wieder zugänglich gemacht hat. Ich komme also erst um 07:00 los, wollte eigentlich schon um o6:00 los.


SSE 5, MISS SOPHIE schiebt nur unter Fock, mit direkt achterlichen Wind bei einem Kurs von 350 Grad, mit 5-6 kn durch die See und es verspricht endlich ein Segeln, wie man es sich wünscht.


Eine Weile begleitet mich in Lee dicht unter der Strandküste ein großer anderer Segler, den ich aber bald aus den Augen verliere und ich sehe mal wieder kein einziges Schiff am Horiziont.


11:30 kreuze ich den Dampferweg nach Butinge Oil Terminal und sehe zwei Grossschiffe auf diesem Weg – aber weit weg.


Jede Stunde knabber ich ein Knäckebrot und nehme einen kleinen Schluck aus der Ernergy-Drink-Flasche – nicht zuviel, weil bei dem Kurs vor dem Wind kann ich die Pinne nicht verlassen und bei mehr Wind und anderen Kursen ebenfalls nicht. Deshalb wenig trinken, um Pinkelpausen zu vermeiden.


Um 13:30 fährt eine gewaltige Böe in die Fock, legt MISS SOPHIE auf die Seite und lässt sie in den Wind schiessen – ohne meteologische Vorwarnung – einfach so, aus heiterem Himmel. Dann ist der Wind auf WSW, Beaufort 4-5.


Um 14:30 bin ich am Sperrgebiet, das dort in meiner Karte eingezeichnet ist und an dessen westlichem Rand ich meine Kursänderung jetzt direkt auf Liepaja mit 20 Grad vornehme. Jetzt habe ich , weil ich 20 Grad vorhalten muss wegen der Abdrift, einen leicht vorlichen Wind, weil ich Nord steuere.


Bis 16:00 Uhr hat der Wind beständig zugenommen und als ich mich einmal, weil ich etwas aus der Kajüte greifen muss, versteuere und die Fock back schlägt, sehe ich, dass bei dem wild um sich schlagenden Segel die oberen Stagreiter sich vom Vorstag gelöst haben. Also nach vorn, Fock runter.

Inzwischen hat sich ein Seegang von 2 Metern aufgebaut. Meine Augenhöhe sitzend an der Pinne ist 1,50 Meter, wenn MISS SOPHIE sich auf die Backe legt, komme ich noch einmal 50 Zentimeter höher, also 2 Meter. Wenn ich dann Wellen seitlich sehe, die die Horizontlinie übersteigen, dann haben die 2 Meter.


Also: Schwimmweste und Sicherheitsgurt an? Ja, denn MISS SOPHIE rollt bei den seitlich anrollenden Wellen bis zu 40 Grad in beide Seiten. Das behindert mich zwar ein wenig, scheint mir aber sinnvoll zu sein, denn dann kann ich mich mehr mit dem Bergen der Fock beschäftigen und muss nicht beständig den Seegang im Auge behalten.


Ich muss mich mit meinem Körper auf die Fock werfen, damit ich sie bändigen und bänseln kann.


Als ich hinten wieder im Cockpitt bin, hole ich meinen Windmesser (mechanisch von der DAVEY INSTRUMENT COMPANY, Essex, England) und der zeigt mir 20 – 27 kn in 2m Höhe (Wind wird eigentlich in 10 Meter Höhe gemessen, da ist er mindestens noch 1 Beaufort mehr), das sind 6-7 Beaufort – aber halber Wind.


Ich überlege. Ich habe nicht herausbekommen, wie das passieren konnte, dass sich die Stagreiter im ganzen oberen Bereich vom Stag lösen konnten. (Inzwischen weiß ich es: ich fahre Doppelstage vorne. Bei sehr hohem Winddruck biegt sich das belastete Stag soweit durch, dass es direkt neben dem unbelasteten kommt: jetzt kann sich das unbelastete Stag hinter die Stagreiter setzen und wenn sich die beiden Stage voneinander wieder in einer Böe lösen, können dadurch die Stagreiter, weil sie an dem Stag hinten hängenbleiben öffnen und sich vom Stag lösen).

Da der Wind eh zuzunehmen scheint, hole ich die Sturmfock raus und setze sie. Jetzt laufen wir nur noch 3-4 kn, wir haben noch 16 Seemeilen vor uns und ich habe die Befürchtung, dass der Wind noch ein wenig nördlicher einkommen könnte, wie er das die Tage vorher auch schon gemacht hat und ich möchte jetzt möglichst schnell in den Hafen, weil das Wetter sich hier eh nicht an die Prognosen zu halten scheint. Als lasse ich den Diesel mit 1000 Umdrehungen mitlaufen und sichere damit 5 kn. Es wird jetzt über Stunden ein elendes Geschaukel, weil jede seitlich einkommende Welle MISS SOPHIE mit 40 Grad auf die Seite legt, dann pendelt sie zurück auf 30 Grad der anderen Seite und so wird das die nächsten 4 Stunden auch bleiben.


Tut es auch. Aber der Wind bleibt konstant auf W und das beruhigt mich zunehmens.


Aber die Hafeneinfahrten öffnen sich bei Liepaja nach West, dahin, woher der Wind kommt. Und im Hafenhandbuch wird vor den Grundseen gewarnt, die dort entstehen können, zumindest ab Wellenhöhen von 3 Metern. Aber weiß ich, wie hoch die in vier Stunden sein werden?


Ich funke über UKW Port Control Liepaja an, schildere ihnen, dass ich ein Segelboot sei, eher klein, wo mein jetziger Standort ist und frage sie, „will it be a risk, to enter your harbour by this waves?“. Sie beordern mich auf Kanal 11, ich wiederhole dort noch einmal meine Frage und sie antworten, ich solle sie noch einmal anrufen, wenn ich vor dem Hafen stehe. Später erweist sich dies als klug und umsichtig.


Also weiter rollen auf Steuerbordseite, dann zurück nach Backbord und so weiter und so fort - Welle für Welle, bis ans Ende der Welt.


Um 20:00 Uhr haben die Wellen ihren Biss verloren, weil der Wind seit 18:00 Uhr beständig abgenommen hat und jetzt bei W 2-3 angekommen ist – selbst für die Fock wäre das zu wenig gewesen und ich hätte das Grosssegel dazu nehmen müssen.

Ich habe dazu keine Lust, weil ich dafür wieder die Sturmfock abschlagen müsste, die unsichere Fock setzen müsste und dazu auch noch das Groß – ich lasse es wie es ist, denn es ist eh nur noch eine Stunde, dann bin ich da.


Dort vor der Hafeneinmündung, die zwei Öffnungen hat, eine westliche und eine südliche, bin ich sehr verunsichert, denn beide öffnen sich nach Karte nach West, ich komme von Süden und finde sie zu mir geöffnet vor. Bin ich hier richtig? Nachschlagen bei Jörn Heinrich. Öffnung nach West. Die Seekarte sagt das Gleiche. Mein Kartenplotter zeigt mir die Öffnung nach Südwest. Ich kontrolliere noch einmal den Waypoint in der Hafeneinfahrt: Die Koordinaten stimmen – ganz vorsichtig schleiche ich mich in die Einfahrt – aber es ist sie und dann bin ich um 20:30 drin.

Um 21:00, nach 16 Stunden ununterbrochen an der Pinne, mache ich bei Liepaja Yacht Center am Ende des südlichen Hafens fest, werde dort schon von einem Mitarbeiter auf einen Liegeplatz verwiesen, er nimmt meine Leinen an, zeigt mir hervorragende sanitäre Anlagen, es gibt W-Lan und alles ist bestens.

Nur die nahe viel befahrene Brücke und die Nähe der Stadt bringen eine Geräuschkulisse mit, die ich nicht unbedingt gewünscht habe.

Seglerisch bin ich nicht ganz zufrieden mit mir: Statt zu motoren hätte ich den Rest auch unter Segel schaffen können. OK, nächsten Mal.

 

Nudeln, 2 Bier, ein paar Rum zum Abschluss und dazu dir Hörfassung von „Rausch“ von John Griesemer, CD 4-5. Um 01:00 dann zur Koje.


Bei den gehörigen Bewegungen von MISS SOPHIE auf diesem Törn muss das Pasta-Glas unten im Bilge-Kühlschrank, obwohl dort eingeklemmt – einen Salto vollzogen haben. Denn es steht jetzt dort auf dem Deckel.

Ansonsten ist alles dort geblieben, wo es hingehört – nur die Bücher im vorderen Bücheregal müssen noch etwas seefester gelascht werden.

zu den Bildern:

Bild eins und zwei unter Segeln, zwei zeigt ein bischen die Wellenhöhe, denn diese Welle verdeckt die Horizontlinie.

Bild drei zeigt den Himmel nach dem Starkwind

Bild vier die Abendstimmung im Hafen von Liepaja

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